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Film + Diskussion: Wie retten wir die Artenvielfalt?

„Wir müssen mutiger auch auf Dinge aufmerksam machen, die niemand hören möchte“


Was sind die Ursachen für den dramatischen Verlust biologischer Vielfalt? Und wie lassen sich gesellschaftliches und politisches Engagement fördern? Anlässlich der Aktionswoche „Achtung Artenvielfalt!“ veranstalteten die FEdA und Senckenberg eine digitale Filmvorführung mit anschließendem Gespräch zwischen den Biodiversitätsforschenden Prof. Aletta Bonn und Prof. Klement Tockner. Hier lesen Sie eine gekürzte Fassung der Diskussion vom 4. Oktober 2021.

Frau Bonn, Herr Tockner, in einer Woche startet der erste Teil der UN-Biodiversitätskonferenz CBD-COP 15. Bis Anfang Mai 2022 möchten sich die 196 Vertragsstaaten auf gemeinsame Ziele zum Erhalt der weltweiten Artenvielfalt einigen. Eigentlich muss man sagen: wieder neue Ziele. Denn es gab ja zuletzt bereits die sogenannten „Aichi-Ziele“. Lassen Sie uns zu Beginn daher den Status quo beleuchten: Wo stehen wir eigentlich mit der Biodiversität? Haben wir die vergangenen 10 Jahre vergeudet?

Aletta Bonn: Tatsächlich wurden von den 20 Aichi-Zielen die meisten nicht erreicht. Immerhin sechs der Ziele haben wir aber wenigstens teilweise erreicht: Zum Beispiel wurden mehr Schutzgebiete ausgeschrieben. Es wurde tatsächlich mehr Wissen geschaffen und es wurden auch invasive Arten zum Teil besser kontrolliert. Trotzdem beobachten wir immer noch einen Verlust von Arten, der hundertmal schneller vonstatten geht als in der Evolution üblich. Da muss man sich schon fragen: Woran liegt das? Ein wichtiger Punkt ist wahrscheinlich, dass man solche Ziele exakter formulieren muss. Man sollte sie außerdem an konkreten Handlungen orientieren und die verantwortlichen Akteure festlegen. Nur so wird ihre Umsetzung transparent überprüfbar.

Herr Tockner, sehen Sie das ähnlich?

Klement Tockner: Ich glaube – das hat ja auch der Film gezeigt, der eben ausgestrahlt wurde – der Verlust der biologischen Vielfalt ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen, aus zwei Gründen. Zum einen gilt: Einmal verloren, für immer verloren. Ausgestorbene Arten lassen sich nicht mehr zurückholen. Daran mahnen uns nicht zuletzt die Exponate in unseren Naturkundemuseen. Zum anderen können wir derzeit noch nicht genau abschätzen, was ein 20- oder auch 50-prozentiger Rückgang der biologischen Vielfalt für die Natur und für den Menschen bedeutet. Die Massenaussterben in der Erdgeschichte zeigen zwar, dass sich die Natur wieder erholt und die Diversität nach solchen Krisen wieder ihr ursprüngliches Niveau erreicht. Das dauert aber Millionen von Jahren! Und die einst dominanten Arten bleiben verschwunden. Diesmal sind wir Menschen die dominante Art.

Wenn wir mal den Blick auf Deutschland richten: Wie steht es bei uns um die Biodiversität?

Aletta Bonn: Auch in Deutschland sehen wir einen deutlichen Rückgang der biologischen Vielfalt. Eine ganz eindrückliche Untersuchung war sicherlich die des Entomologischen Vereins Krefeld. Die Forschenden haben darin gezeigt, wie stark die Biomasse von Fluginsekten über die letzten 25 Jahre abgenommen hat. In der Arbeitsgruppe sMon, in der wir mit vielen Expertinnen und Experten aus der Gesellschaft zusammenarbeiten, konnten wir ebenfalls zeigen, dass über die letzten 60 Jahre bei den gut 2000 untersuchten Pflanzenarten in Deutschland mehr als 70 Prozent der Arten seltener geworden sind.

Aletta Bonn ist Biologin und Leiterin des Departments Ökosystemleistungen am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Leipzig, und Professorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Rahmen des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv).

Gibt es auch positive Nachrichten?

Aletta Bonn: Bei vielen Tier- und Pflanzengruppen muss man die Entwicklungen differenziert betrachten. Wir haben in diesem Jahr eine Studie über Libellen veröffentlicht, in der wir Abnahmen gesehen haben: Bei rund einem Viertel der Arten sind die Bestände seit 1980 zurückgegangen, vor allem in Mooren oder Stillgewässern. Bei einem Viertel der Arten sind sie aber stabil geblieben, und fast die Hälfte der Arten konnte sogar Zuwächse verzeichnen. Das betraf vor allem wärmeliebende Libellen, die zu den Gewinnern des Klimawandels zählen, etwa die Feuerlibelle. Ebenfalls besser erging es Arten, die an fließenden Gewässern leben. Sie haben möglicherweise von der Renaturierung einiger Fließgewässer und durch die Wasserrahmenrichtlinie profitiert.

Einzelne erfreuliche Ergebnisse – aber noch keine Trendwende


Kann man solche Erkenntnisse bereits als Zeichen einer Entspannung deuten?

Aletta Bonn: Es gibt in jüngster Zeit einzelne erfreuliche Ergebnisse. Aber man muss dabei schon im Blick behalten, wie viel Biodiversität bereits in den 1970er und 1980er Jahren verloren gegangen ist. Auch wenn wir jetzt in manchen Bereichen wieder kleine Zuwächse sehen, sind wir noch lange nicht wieder auf dem Stand von vor 50 oder 100 Jahren, was die biologische Vielfalt angeht. Hier waren und sind die intensive Landnutzung in Land- und Forstwirtschaft, die Überdüngung und Überfischung ausschlaggebend, aber auch die Zerschneidung und Versiegelung der Landschaft.

Klement Tockner: Ich nehme mal das Beispiel der Gewässer. Nur 7 Prozent aller Gewässer in Deutschland sind derzeit in einem guten ökologischen Zustand. 93 Prozent sind zu stark verbaut, überdüngt oder fragmentiert. Trotzdem sehen wir teilweise wieder eine Zunahme der Biodiversität in den letzten Jahrzehnten. In erster Linie kommt das durch den Bau der Kläranlagen, wodurch die Verschmutzung des Wassers zurückgegangen ist. Aber mit dem Klimawandel haben wir nun eine zusätzliche und chronische Belastung der Ökosysteme. Deshalb glaube ich, dass diese Erholung, die man hier und da feststellt, nur von kurzer Dauer sein wird. Wir dürfen uns darauf nicht ausruhen!

Wie beschleunigt der Klimawandel das Artensterben?

Klement Tockner: Man muss zunächst verstehen, dass sich die Ursachen oder „Treiber“ des Artensterbens nicht einfach addieren, sondern sie verstärken sich zum Teil noch gegenseitig. Wir sprechen dabei von synergistischen Effekten. Wenn ein Gewässer etwa seinen Uferstreifen verliert, geht nicht nur die Vegetation als Lebensraum für Insekten und andere Tiere verloren. Das Ufer bietet dann auch weniger Rückhalt für Schadstoffe im Boden, und die Beschattung des Gewässers fällt ebenfalls weg. Allein der Verlust der natürlichen Vegetation am Rande von Gewässern hat also schon eine mindestens dreifache Auswirkung auf die Biodiversität. Andererseits: Eine Revitalisierung oder Schutzmaßnahmen an den Uferstreifen haben ebenso einen mehrfachen positiven Effekt.

Klement Tockner ist Zoologe und Botaniker mit dem Schwerpunkt Gewässerökologie. Er ist Professor für Ökosystemwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und seit Januar 2021 Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Das heißt, Probleme hängen miteinander zusammen, aber auch die Lösungen. Wie kann man das auf den Zusammenhang von Erderwärmung und Biodiversität übertragen?

Klement Tockner: Nehmen wir das aktuelle Beispiel von Hochwasser und Überflutungen. Der Klimawandel führt nicht nur zu einer Erhöhung der mittleren Temperatur, sondern auch zu einer Zunahme von extremen Wetterverhältnissen. Beides ist schlecht für die biologische Vielfalt, wie wir sie kennen. Unser Umgang mit einem erhöhten Risiko für Unwetter besteht derzeit in erster Linie darin, uns weiter baulich abzusichern, also die Natur noch mehr zurückzudrängen – mit Schutzmauern, Rückhaltebecken und anderem. Ein moderner Hochwasserschutz dagegen zielt viel stärker auf die natürliche Aufnahmefähigkeit der Gewässer und des Umlandes ab. So lässt sich der Schutz des Menschen vor Extremwetter mit dem Schutz der Natur verknüpfen. Darauf müssen wir viel stärker als bisher hinarbeiten!

Aletta Bonn: Ein weiteres Beispiel sind die Moore. Feuchtgebiete nehmen in Deutschland aktuell etwa 5 Prozent der Fläche ein, beziehungsweise 8 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Aber sie tragen mit 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten zu 30 Prozent zu den Emissionen aus der deutschen Landwirtschaft bei! Denn wenn Moore nicht nass sind, oxidiert der Kohlenstoff aus dem Torf – und genau das geschieht bei landwirtschaftlicher Nutzung. Mit der Wiedervernässung von trockengelegten Gebieten haben wir also eine sehr kostengünstige Klimaschutzmaßnahme. Diese Böden lassen sich ohnehin oft nur mit großem Aufwand bewirtschaften. Ein anderes Thema sind begrünte Innenstädte. Stadtbäume tragen stark zur Kühlung von Wohngebieten bei. Hier hat man Klimaschutz, den Schutz von Biodiversität und Gesundheitsschutz in einem!

Die Kosten des Nichthandelns heute tragen unsere Kinder und Enkelkinder


Maßnahmen wie Renaturierungen oder die Wiedervernässung von Mooren können in der Umsetzung dauern. Wie viel Zeit bleibt uns überhaupt noch zu handeln?

Klement Tockner: Die Zeit rennt uns wirklich davon. Wir reden hier von vielleicht zehn oder fünfzehn Jahren, nach denen wir deutlich Erfolge sehen müssen. Aber dafür bräuchte es eine noch viel größere Sensibilisierung in Politik und Gesellschaft. Es würde mich nicht wundern, wenn in einigen Jahrzehnten unsere jetzige Generation vor einem internationalen Gerichtshof verklagt wird – für unsere Verharmlosung der Erderwärmung und unser Nichtstun beim Artensterben. Die Erosion des Naturkapitals ist etwas, was vor allem die nächsten Generationen nachhaltig belasten wird. Die Kosten unseres Nichthandelns heute tragen unsere Kinder und Enkelkinder.

Aletta Bonn: Und auch jetzt schon leiden Menschen unter dem Biodiversitätsverlust. Rund 3,2 Milliarden Menschen sind aktuell global bereits von der Degradation von Ökosystemen betroffen. Der Verlust von Biodiversität und Ökosystemleistungen kostet uns bereits heute etwa 10 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts, wie der Weltbiodiversitätsrat IPBES festgestellt hat. Biodiversitätsschutz bedeutet also auch jetzt schon Schutz unseres Kapitals.

Wie würden Sie beim Schutz der biologischen Vielfalt priorisieren? Was sind die wichtigsten Dinge, die wir schnell angehen müssen – bezogen erst einmal auf Deutschland?

Aletta Bonn: Wir brauchen einen grundlegenden Perspektivenwechsel. Ökonomische Investitionen dürfen nicht zum unkontrollierten Verlust von Naturkapital führen! Daher muss „per Default“ alles darauf ausgerichtet sein, unsere Ökosysteme zu schützen. Zurzeit bedienen sich Menschen und Unternehmen bei der Natur und denken, die bekomme man irgendwie umsonst. Man fragt lieber nicht so genau danach, was eigentlich verloren geht, wenn man diese Ressource oder jenes Ökosystem übernutzt. Das müssen wir ändern! Dafür braucht es natürlich auch Indikatoren, mit denen das überprüft werden kann – nicht nur in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei, wo das ja schon länger ein Thema ist, sondern beispielsweise auch im Finanzwesen und dem Verkehrssektor.

Wie schaffen wir es, dass auf allen Entscheidungsebenen, auch auf kommunaler Ebene, die Erhaltung der Artenvielfalt und der Natur grundlegend ist – also das sogenannte „Mainstreaming“ von Biodiversitätsschutz?

Aletta Bonn: Es gibt hier zumindest bereits positive Entwicklungen. Die schon erwähnte Krefelder Studie hat die Politik gerockt! Auf einmal war das Insektensterben in den Acht-Uhr-Nachrichten, das hätte ich mir als Biologin zuvor nie träumen lassen. Das hat direkt oder über Umwege vieles angestoßen, zum Beispiel das „Volksbegehren Artenvielfalt“ in Bayern. Da musste man teilweise lange anstehen, um zu unterschreiben! Letztlich führte es zu einer Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes. Das ist eine Geschichte, die Mut macht. Nun kommt vieles auf die nächste Bundesregierung und ihren Koalitionsvertrag an.

Welche Schritte wären von der neuen Regierung nötig?

Klement Tockner: Vor allem braucht es mehr politischen Mut! Nehmen wir die Subventionspolitik. Nach den Daten des Umweltbundesamts werden in Deutschland pro Jahr 57 Milliarden Euro in umweltschädliche Subventionen investiert. Öffentliche Mittel müssen aber für gemeinschaftliche Leistungen verwendet werden! Ein Umdenken von Politikerinnen und Politikern auf diesem Feld könnte so viel bewirken. Mehr Geld muss stattdessen in Renaturierungsprojekte fließen. Wenn der politische Wille da ist, lässt sich vieles zum Besseren verändern.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Klement Tockner: Nehmen Sie etwa das Renaturierungsprogramm für die Emscher im Ruhrgebiet, eines der größten Projekte dieser Art weltweit. In den vergangenen 30 Jahren wurden mehr als 5 Milliarden Euro investiert. Dadurch hat sich der Fluss, der früher mehr oder weniger ein offener Abwasserkanal war, wieder in ein wertvolles Ökosystem verwandelt. Das muss viel öfter passieren! Natürlich im Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen, die am Fluss wohnen. Allerhöchste Priorität muss jedoch sein – weil das einfacher und billiger ist –, die letzten frei fließenden Flüsse und Bäche zu erhalten. Das ist gut für das Klima und die Biodiversität. Wir erleben im Moment weltweit einen unglaublichen Boom im Ausbau der Wasserkraft. Wasserkraft ist zwar eine erneuerbare, aber keine klimaneutrale und schon gar keine umweltfreundliche Energiequelle! Ich würde sogar sagen, Flüsse und andere Gewässer sind die größten Verlierer des Pariser Klimaabkommens. Denn Wasserkraftwerke zerstören ihre über Jahrmillionen gewachsenen Ökosysteme.

Sie sagen, es brauche ein Umdenken in der Gesellschaft. Wo würden Sie ansetzen, um das zu erreichen?

Klement Tockner: Gerade aus meiner Perspektive als Senckenberger heraus denke ich, dass Museen dabei sicherlich eine große Rolle spielen können. Es gibt ja nicht nur die  bekannten, großen Häuser, wir haben insgesamt 600 Naturkundemuseen in Deutschland! Allein unser Museum in Frankfurt besuchen eine Million Menschen pro Jahr – vor Ort und digital. Man sieht also, dass Museen ganz breite Teile der Bevölkerung erreichen können. Die Barrieren sind relativ niedrig. Naturkundesammlungen sind dabei häufig für Kinder wichtige, frühe Erfahrungen. Das wollen wir in Zukunft noch stärker nutzen. Wir unterstützen auch Fridays for Future und andere NGOs, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse mehr Umweltschutz fordern. Noch viel mehr Engagement brauchen wir aber aus der Gesellschaft insgesamt, und insbesondere aus der Industrie und der Wirtschaft. Mainstreaming ist ohne deren Willen zur Transformation nicht zu erreichen.

Wie schaffen wir das? Und welche Rolle spielt die Landwirtschaft?

Klement Tockner: Ich denke, da gibt es bereits ein starkes Verantwortungsbewusstsein, das auch weiter wächst. Das sehen wir an den beabsichtigten Investitionen von Industrie und Wirtschaft in die Nachhaltigkeit. Die Landwirtschaft ist wahrscheinlich der wichtigste Partner im Schutz der biologischen Vielfalt. Durch Änderungen der Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, kann man viel für die Biodiversität erreichen. Deshalb ist es sehr wichtig, mit Landwirtinnen und Landwirten gemeinsam nach Lösungen gegen das Artensterben zu suchen. Das ist ja letztlich auch ein Kampf für gesunde Ökosysteme und einen Boden, den auch kommende Generationen noch nutzen können.

Gravierender Verlust von Naturbewusstsein


Warum sind wir als Gesellschaft insgesamt offenbar so schlecht darin, die großen Krisen Biodiversität und Klimawandel koordiniert anzugehen?

Aletta Bonn: Wir erleben nicht nur einen Verlust von Arten, sondern auch einen gravierenden Verlust von Naturbewusstsein. Wenn wir mal überlegen, was war eine richtig tolle Erfahrung, als wir klein waren? Für viele von uns wahrscheinlich, dass wir in der Natur gespielt haben. Wir haben Staudämme an einem Bach gebaut, eine Heuschrecke gefangen oder Frösche am Tümpel gesucht. Das sind prägende Erlebnisse, die uns die Natur wertschätzen lehren. Dieses Naturbewusstsein braucht es, um die Bedeutung der Biodiversität zu erkennen. Dann fällt es uns leichter, eine Brennesselecke in unserem Garten als Kinderstube für Schmetterlinge zu sehen. Wir begreifen es nicht mehr als persönliche Einschränkung, sondern vielleicht als eine Entscheidung für mehr Genuss, wenn wir Kleinigkeiten in unserem Alltag ändern, um die Natur zu schützen.

Welche Ansätze gibt es, das Naturbewusstsein zu fördern?

Aletta Bonn: Ein wichtiger Punkt ist neben der reinen Vermittlung von ökologischem Wissen sicher auch Citizen-Science, also das Einbinden von Bürgerinnen und Bürgern in die Forschung. Wir entwickeln auf unserer Plattform „Bürger schaffen Wissen“ derzeit das Weißbuch Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland – alle, die sich dafür interessieren, können noch online mitwirken! Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern wird in den Biodiversitätswissenschaften generell immer wichtiger. 70 bis 80 Prozent aller Artenvorkommen werden nicht mehr von Universitäten erhoben, sondern von Artenkennerinnen und Experten aus der Gesellschaft. Hier gibt es bereits eine lange Tradition der Zusammenarbeit. Von der erfahrenen Hobby-Taxonomin zum Einsteiger beim „Insektensommer“ ist alles möglich. Das schafft Naturerlebnisse und Begeisterung für die biologische Vielfalt.

Was kann davon abgesehen jeder einzelne zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen? Vielleicht verraten Sie uns, was Sie beide in Ihrem Alltag für die Biodiversität tun?

Aletta Bonn: Nun, einmal arbeite ich ja als Biologin und versuche auch, wissenschaftliche Evidenz in die Politik zu bringen, damit unsere Erkenntnisse dort Gehör finden. Zweitens glaube ich, dass wir auch sehr viel individuell mit unseren Kaufentscheidungen und unserer Ernährung dazu beitragen, wie Ökosysteme gemanagt werden – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern. Nicht jeder muss Vegetarier oder Veganer werden, aber wenn alle deutlich weniger Fleisch essen würden, würden Klima und Biodiversität schon profitieren. Klimafreundliche Fortbewegungsmittel wählen hilft. Außerdem: Auf dem Balkon, im Hinterhof oder im Kleingarten – in organisierten Initiativen auch in Parks – kann ich die Biodiversität in Städten fördern und so vielleicht auch anderen Menschen zu mehr Naturerlebnissen verhelfen.

Klement Tockner: Ich will gar nicht darauf eingehen, dass ich es hasse, mit dem Auto zu fahren und so weiter. Ich denke, die Verantwortung als Wissenschaftler ist ein wichtiger Punkt. Wir haben in Deutschland das große Privileg, eine sehr unabhängige Wissenschaft zu haben. Wir Forschenden genießen hier große Freiheiten – und trotzdem schränken wir uns oft selbst ein! Wir müssen uns stärker zu Wort melden, uns in den Diskurs einbringen. Und mutiger auch auf Dinge aufmerksam machen, die vielleicht niemand hören möchte.

 

Die Fragen stellte die Wissenschaftsjournalistin Susan Schädlich.