BiodiWert
Biodiversitätskulturen in Stadt und Land – integrative Forschung zur Förderung der Insektenvielfalt auf Grünflächen
Die drastische Abnahme von Insektenpopulationen erfordert dringend nachhaltige Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt. Selbst gute technische und administrative Maßnahmenkataloge können das Problem allein nicht lösen. Vielmehr bedarf es einer Zusammenführung von Wissensbeständen, Handlungsressourcen und Kommunikationsstrategien in einem gesellschaftlichen Prozess. Dies wird insbesondere im Grünland deutlich: Öffentliche, private und landwirtschaftlich genutzte Grünflächen in der Stadt (Gärten, Parks, Grünstreifen, Grünflächen auf Gewerbegelände) und auf dem Land (Wiesen, Weiden, Ackerränder) stellen einen wichtigen Lebensraum für Arthropoden dar, werden jedoch oft unterschätzt. Wie kaum ein anderer Lebensraum werden Grünflächen von weiten Teilen der Bevölkerung genutzt und unterliegen konträren und konkurrierenden, aber auch dynamischen Zwecken und Vorstellungen zur Gestaltung (u.a. Zierrasen oder „Unkraut“, Freizeitwert, Tierproduktion), die oft in Konflikt zur Förderung der Artenvielfalt stehen.
Das Projekt BioDivKultur hat daher zum Ziel, am Beispiel der Grünflächen Praktiken zur Förderung und Wertschätzung der Arthropodenvielfalt anhand eines Land-Stadt-Gradienten zu verstehen und zu verbessern. Vorhandene Maßnahmen und Praktiken werden aufgegriffen oder wo notwendig neu erarbeitet, testweise durchgeführt und anschließend bewertet und vermittelt. Dies erfolgt aus einer integrativen Perspektive, welche neben der biologischen Bestandsaufnahme der Biodiversität auf den verschiedenen Grünflächen auch die wert- und wissensbasierten, diskursiv-kommunikativen und politisch-administrativen Kontexte dieser Praktiken – also „Biodiversitätskulturen“ – in den Blick nimmt. Gemeinsam mit Akteuren aus der Praxis soll eine Untersuchung bisheriger Maßnahmen sowie eine Entwicklung und Anwendung neuer Praktiken durchgeführt werden. Der Vergleich von Stadt und Land eröffnet dabei neue Perspektiven auf gesellschaftliche Verantwortung, unterschiedliche Werthaltungen und Wissensbestände sowie konkrete Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer nachhaltigen Transformation.
Zu diesem Zweck setzt sich das Projekt BioDivKultur aus mehreren Teilprojekten zusammen. Im wissenschaftlichen Teilprojekt der TU Darmstadt stellen Forschende aus den Bereichen Biologie, Linguistik, Philosophie und Politikwissenschaft belastbare Daten und Erkenntnisse zur Thematik bereit. Die Teilprojekte der Praxispartner beschäftigen sich mit der nachhaltigen Vermittlung der Thematik an die verschiedenen Akteure. Dabei richten sich die Teilprojekte der Wissenschaftsstadt Darmstadt und des Landschaftspflegeverbands Landkreis Göttingen e.V. vor allem an berufliche Akteursgruppen (z.B. die kommunale Grünflächenpflege oder landwirtschaftliche Betriebe) sowie die entsprechenden (Fort-)Bildungseinrichtungen. Die Teilprojekte des bioversum Jagdschloss Kranichstein und des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Landesverband Hessen) e.V. richten sich vor allem an die breite Öffentlichkeit sowie an Schulen.
In der ersten Phase des Projekts konnten in der Modellstadt Darmstadt bereits Praktiken des Erhalts und der Förderung der Arthropodenvielfalt für verschiedene Grünflächentypen analysiert und eingeordnet werden. (Nicht-)Bewährte Umgangsformen sowie divergierende Werthaltungen und Nutzungserwartungen wurden dabei intensiv mit den entsprechenden Akteursgruppen diskutiert. Zudem fand deutschlandweit ein problembezogener Austausch statt, durch den das Projekt bereits erste Vernetzungen bilden konnte. Dieses Netzwerk stellt insbesondere für die geistes- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen ein wichtiges Potenzial von zu analysierenden Best Practices dar. Im Rahmen der biologischen Untersuchungen wurde der aktuelle Wissensstand zu den unterschiedlichen Mahdpraktiken (Zeitpunkt, Häufigkeit, Gerätewahl, Mahdweise) untersucht und Wissenslücken identifiziert.
In der zweiten Phase des Projekts werden nun gemeinsam mit den Praxispartnern verschiedene Ansätze zur Förderung der Biodiversität in den drei Modellstädten (Darmstadt, Göttingen und Bamberg) untersucht. Dabei werden die Handlungsoptionen und Regulierungsmöglichkeiten bei der Gestaltung und Pflege von Grünflächen sowie Naturverständnisse und Nutzungsinteressen in den Blick genommen, um Konfliktfelder und bestehende Hürden im Biodiversitätsschutz zu identifizieren. Untersuchungen von zahlreichen Grünflächen und unterschiedlichen Mahdgeräten (unter anderem insektenfreundliche Mäher) sollen zudem Erkenntnisse zum Einfluss des Mahdregimes auf die Anzahl und Vielfalt der Arthropoden liefern. Anschließend werden die interdisziplinär gewonnenen Ergebnisse und Daten an die Öffentlichkeit, zivilgesellschaftliche Initiativen, Handelskammern und Verwaltungseinrichtungen vermittelt, wodurch eine Stärkung und Verankerung von Biodiversitätskulturen erreicht werden soll. Hierfür werden niedrigschwellige Handreichungen z.B. zu Mindeststandards, Anreizsystemen und Kommunikationsstrategien angestrebt, um eine nachhaltige Förderung der Arten- und insbesondere Arthropodenvielfalt in Stadt und Land zu ermöglichen.